Interview
Sie schafft Kunst von ausserirdischer Schönheit. Die Werke von Mariko Mori machen an den wichtigsten Kunstorten der Welt Station. Und sie sind auch in freier Natur präsent. Das erwachsen gewordene Cyber-Girl aus Japan wagt jetzt einen neuen Blick in die Zukunft.
Edith Arnold
Mariko Mori, mit dem organisch geformten Raumschiff, den Cyborg-Outfits oder den String-Objekten scheinen Sie seit 30 Jahren aus der Zukunft zu kommen. Wie sind Ihre derzeitigen Koordinaten im Universum?
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Vom Urknall bis zum Tokio des 21.Jahrhunderts.
Überall gleichzeitig?
Ich versuche wirklich, zeitlos und unendlich zu sein. Physisch weile ich seit dem 30.März in Tokio, Bezirk Shibuya, in meinem Haus. Hinter mir hängt eine flächige Leuchte, ein Lichtbild. Auch in Japan bestand während Wochen eine Art Lockdown. Wir hatten wenig Freiheit, nach draussen zu gehen, dafür die totale Freiheit nach innen. Das motivierte mich, das innere Universum zu erforschen.
Welche Entdeckungen haben Sie gemacht?
Die erste Woche war ich mit Jetlag beschäftigt. Ich lebe normalerweise in London. In der zweiten Woche begann ich zu meditieren. Ich lernte, mit mir selber zu sein, daraus eine Routine zu entwickeln und diese zu managen. So konnte ich mich immer besser fokussieren. Auch auf die Arbeit.
Auf welche Arbeit?
Meine Inspiration war immer die Vergangenheit – auch beim «Wave UFO». Die derzeitigen Arbeiten gehen auf das 5. bis 7.Jahrhundert zurück. Ich recherchierte über die Welt des japanischen Schöpfungsmythos Kojiki, um die Hintergründe der Kofun-Periode zu verstehen. Vor jener Zeit brachte Korea die Technik des Reisanbaus nach Japan. Um dann die Natur im Gleichgewicht zu halten, betete man zu vielen Göttern, etwa bei grossen Steinen, die zu Quasi-Schreinen wurden. Das war der Ursprung der japanischen Naturreligion des Shinto. Die Botschaft, die ich während des Lockdown entdeckte: wie demütig unsere Vorfahren waren, wie sehr sie die Natur verehrten, indem sie sich mit animistischen Göttern verbanden.
Was wird aus den Erkenntnissen?
Die Virtual-Reality-Installation «Kojiki» mit holografischen Bildern in verschiedenen Realitäten. Gleichzeitig arbeite ich an der Skulpturenserie «Divine Stone» aus beschichtetem Acryl weiter.
Auf Instagram schreiben Sie zum Bild «Radiant Being IV», das an der Art Basel Miami Beach im letzten Dezember für viele ein Highlight war: «Das Leben wird durch das strahlende Licht der Liebe gegeben. Eigentlich ist das Leben das Licht der Liebe selbst. Wir sind alle strahlende Wesen, zusammen als Ganzes.» Brauchen wir seit Covid-19 ein solches Vokabular?
Wenn man abschaltet und sich von der Welt abschottet, hat man die Chance, in sich Frieden zu finden. Das Licht, das man dabei spürt, ist nicht sichtbar, aber es ist in einem selbst. Für mich ist Licht immer da, es kommt nicht und geht nicht, es ist immer überall.
Ihr Vater war ein bekannter Ingenieur und Erfinder. Vor über 30 Jahren entwickelte er das System Himawari. Der Name bedeutet Sonnenblume. Was ist Ihre physikalische Definition von Licht?
Bei Himawari handelt es sich um ein System, das Sonnenstrahlen via Glasfaserkabel überträgt. Auf dem Dach eingefangen, wird das gefilterte Licht bis in tiefe Keller geleitet, wo es sogar für Pflanzenkulturen nutzbar gemacht werden kann. Licht ist eine Form der elektromagnetischen Strahlung. Eigentlich bezeichnet es nur jenen Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der fürs menschliche Auge sichtbar ist.
Wie bringen Sie Physik, Hightech, Science-Fiction, Manga/Anime, Natur, Leben und Tod in Ihrer Kunst zusammen?
Indem ich es einfach tue. Ich habe nie eine besondere Absicht verfolgt, war aber immer daran interessiert, die Sprache der Populärkultur und der neusten Medien oder Technologien zu nutzen, um bestimmte Ideen auszudrücken.
Welche Theorie inspiriert Sie?
Ich vertiefe mich in die japanische Kultur: in den Shintoismus, der die Natur vergöttert, und in den japanischen Buddhismus. Aber erst seit einer bestimmten Erfahrung glaube ich an dieses Licht.
Was ist passiert?
1998 sah ich das «Licht» zum ersten Mal. Es erschien in meinem Schlafzimmer. Ich wachte auf, ich weiss nicht einmal genau, ob in Wirklichkeit oder im Traum. Jedenfalls erhob sich meine Seele über dem Körper. Ich konnte das eigene Licht wahrnehmen. Diese Erfahrung visualisierte ich übrigens 1999 im «Dream Temple» und 2003 auch im «Wave UFO» im Kunsthaus Bregenz.
Wie ist es seither, Mariko Mori zu sein?
Ich versuche bei meiner Arbeit ehrlich und transparent zu sein. Denn diese sehe ich als Spiegel meiner Seele. Überhaupt scheinen alle Interessen, die ich habe, von meiner Seele ausgelöst zu werden. Wenn ich meine Arbeiten betrachte, finde ich immer etwas über mich selbst heraus. Beim Entwicklungsprozess ist mir wichtig, was in meinem Herzen schwingt. Ich muss nicht unbedingt den Grund oder die Bedeutung der entstehenden Arbeit wissen.
Vielleicht sind Sie als international bekannte Künstlerin privilegiert, so arbeiten zu können.
Dort, wo ich lebe und produziere, erkennen mich die Leute nicht. In New York wird jeder gefeiert, dort bist du ganz normal. Auch in London werde ich vor allem in der Kunstwelt wahrgenommen.
Gleichzeitig müssen Sie Risiken eingehen.
Ich kann unterscheiden. Wenn die Motivation aus der Seele kommt, ist es fast immer einfacher, ein Ziel zu erreichen. Wenn sie durch zu langes Denken geprägt ist, folgen oft Probleme, Hindernisse. Für andere mag anderes gelten.
Lassen Sie uns etwas persönlicher werden. Was ist das Irdischste, was Sie tun?
Am frühen Morgen in den Park spazieren gehen. Dabei berühre ich Bäume, denn diese sind für mich eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Im Park des Meiji-Schreins in Tokio sind Meditationen verboten. Man darf nicht zu lange in einer Position verweilen. In London dagegen nehme ich den Campingstuhl mit, klappe ihn auf und meditiere.
Ihr Lieblingsessen?
Matcha-Tee, drei Mal pro Tag!
Flüssignahrung ohne Kalorien?
Matcha-Tee aus Kyoto ist wie ein Freund von mir. Er erdet mich.
Und Steaks, Schokolade, Käse?
Okay, jeden Morgen mache ich frisch gepressten Zitronensaft. Später mag ich französische Omelette mit Schweizer Gruyère-Käse. Ich esse übrigens auch Nüsse, Fisch, Gemüse. Aber vor einem Jahr hörte ich mit Zucker auf.
Welche Filme mögen Sie?
Mich inspirieren japanische Filme aus den fünfziger und sechziger Jahren von Mikio Naruse.
Die neusten Gadgets um Sie herum?
Ein mobiles UV-Masken-Desinfektionsmittel, das ich nach dem Morgenspaziergang benutze.
Ticks, eventuell kleine Sünden?
Selbstlügen.
Was ist mit der Astrophysik?
Ich las Bücher über die Stringtheorie und das unendliche Universum. Paul Steinhardt, ein Physiker, geht von einem ekpyrotischen Universum aus – eine theoretische Alternative zur Inflationstheorie. Dabei soll der Urknall durch eine Kollision ausgelöst worden sein. Eine Brane kollidierte mit einer Brane aus dem Paralleluniversum. Zusammenziehen, Kollidieren, Expandieren, immer wieder: Das zyklische Universum hat viele Parallelen mit der buddhistischen Philosophie.
Erklären Sie.
Es gibt keine Limiten bei den Dimensionen. Die buddhistische Philosophie erklärt, dass es ein Leben nach dem Tod geben wird, dass das Leben immer wieder geboren wird. Das ekpyrotische Universum suggeriert, dass das Universum endlos ist und der Urknall wieder geschehen könnte. Die Theorie des Paralleluniversums legt nahe, dass in den Urteilchen mehrere Dimensionen existieren. Die Struktur der buddhistischen Theorie, bei der es sich um tiefere, in unserem Geist verborgene Bewusstseinsebenen handelt, ist eine Verbindung zwischen vergangenem, gegenwärtigem und zukünftigem Leben. Diese Theorie wurde im 4.Jahrhundert in Indien entwickelt, aber irgendwie scheint es, dass heute die physikalische Theorie davon beeinflusst wird.
Grundsätzlich verkörpern Menschen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Wie aber beweisen Sie die Existenz von Paralleluniversen?
Das menschliche Hirn kann die Welt visualisieren und begreifen. Ich finde aber, wir müssen das alles nicht unbedingt mit Bildern im Detail belegen. Das Universum besteht zu 85 Prozent aus dunkler Materie. Diese können wir auch nicht genau beobachten. Was wir sehen, ist ein Bruchteil dessen, was existiert. Auch die Seele können wir nicht sehen. Doch wir wissen, dass sie da ist. Wir können uns elf Dimensionen vorstellen.
Elf?
Ja, weshalb nur elf, es könnte Millionen von Dimensionen geben, Milliarden. Auch die Zeit ist möglicherweise nicht linear. Millionen von Paralleluniversen mit eigenen Zeiten könnten existieren. Wir wissen es nicht. Aber sich das vorzustellen, ist eine gute Übung (lacht).
Ja, machen Sie kurz eine Meditation mit uns!
Stellen Sie sich vor, was alles möglich wäre. Öffnen Sie den Geist so weit, wie Sie es sich nur vorstellen können. Versuchen Sie den Raum im Geist zu spüren, dem Geist unbegrenzten Raum zu geben.
Verlieren Sie sich zuweilen in der grenzenlosen Raumzeit?
Vielleicht ist die Realität, wie wir sie kennen, gar nicht so real.
Einige Ihrer ganz physischen Installationen scheinen im Raum zu schweben. Sie haben schöne Titel wie eben «Ekpyrotic String»...
Seit 2013 beschäftige ich mich damit. Bei den Skulpturen geht es um endlose Kreise. Die Formen sind Phantasien, stimuliert durch die theoretische Astrophysik.
Haben Sie schon Signale aus dem Universum empfangen?
Ich versuche achtsam zu sein, aber ich bin nur sensitiv bezüglich Mondphasen.
Ursprünglich wollten Sie in London Modedesign statt Kunst studieren. Lange Zeit waren Sie sehr spacig angezogen, jetzt nur noch weiss. Weshalb?
Weiss kommt dem Licht am nächsten!
Wohin sind alle Farben gegangen?
Ich nutze immer noch Farben in einigen Arbeiten. Die neusten «Plasma Stone»-Skulpturen sind ziemlich bunt. Ich versuche Farben zu realisieren, die Licht reflektieren wie Regenbögen.
Was ist Ihre Mission als Künstlerin in dieser speziellen Zeit?
Meine Faou Foundation! Die dritte Skulptur wird in Äthiopien installiert, beim Ursprung der Menschheit. Das Ziel ist, die Natur zu ehren. Uns daran zu erinnern, dass wir ebenfalls Natur sind. Während des Lockdown hat die Umwelt sofort begonnen, sich zu erholen. Die Luft ist besser geworden, stark beschiffte Gewässer bei Tokio oder Venedig sind klarer geworden. Diese Erkenntnisse sollten uns positiv stimmen.
Was bedeutet das für Sie als internationale Künstlerin: weniger fliegen?
Das ist eine gute Idee. Wir können viele Dinge online machen, auch das erleben wir gerade.
In welcher Welt möchten Sie in zehn Jahren leben?
Jetzt haben wir die Möglichkeit, unsere Welt für eine neue, bessere Zukunft zu gestalten. Wir müssen respektvoller mit der Natur umgehen, und indem wir das tun, werden wir uns automatisch zu einer Gesellschaft entwickeln, die weniger vom Konsum abhängig ist.
Angelika Drnek
Sebastian C. Strenger